Unternehmen sind nicht flexibel genug? Unternehmen sind im Recruiting von Fachkräften zu starr? Unternehmen sind nicht bereit, sich den Anforderungen des Marktes zu stellen?
Mag sein. Sicher können viele Unternehmen sich noch besser aufstellen, dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Sicher ist jedoch: Die deutsche Gesetzgebung hat gerade in 2022 sehr viel dafür getan, das Recruiting und die HR Prozesse verstaubt und antiquiert zu belassen. Vielmehr wurden durch gerichtliche Entscheidungen marktgerechte Arbeitsverträge verhindert und die Flexibilität von Unternehmen gestoppt.
Anpassung des Nachweisgesetzes (1.8.22)
Die Anpassungen, die hier getätigt wurden, haben Einfluss auf digital gezeichnete Arbeitsverträge. Meines Erachtens richtigerweise haben sich heute bereits mehr als 60% der Schweizer und Deutschen Unternehmen auf den Versand gezeichneter Arbeitsverträge per PDF umgestellt. Ebenso akzeptieren diese Unternehmen von Kandidaten gezeichnete und gescannte Arbeitsverträge. Im Sinne der Digitalisierung und des Umweltschutzes kann dieses Vorgehen nur begrüßt werden.
Grundsätzlich gilt: Unternehmen und Kandidaten können jedes Dokument und jeden Arbeitsvertrag mit entsprechender Software oder klassisch per Ausdruck und Scan digital unterschreiben. Die spannende Frage lautet – ist das rechtlich zulässig?
Die klare Antwortet lautet: Ja, beide Partner können einen Arbeitsvertrag rechtsgültig digital unterschreiben. Es gibt jedoch dabei Rahmenbedingungen zu beachten. Die zur digitalen Unterschrift geltenden Bedingungen regelt seit 2014 die EU-Verordnung eIDAS. Sie unterscheidet verschiedene Arten der elektronischen Signaturen: neben der einfachen (EES) und fortgeschrittenen (FES) gibt es die qualifizierte elektronische Signatur (QES). QES ist einer manuellen Unterschrift rechtlich gleichgestellt. In der Praxis kommt für die meisten Geschäftsvorfälle die fortgeschrittene elektronische Signatur zum Einsatz. Dabei werden Ihre biometrischen Daten im signierten Dokument als Art „elektronisches Siegel“ gespeichert. Zusätzlich gilt im Bereich der digitalen Unterschriften bei Arbeitsverträgen in Deutschland neben der genannten EU-Verordnung zudem das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Dort sind Formfreiheit und Schriftformerfordernis geregelt. §125 BGB regelt die sogenannte „Formfreiheit“. Dieser besagt, dass ein Teil der unternehmerischen Rechtsgeschäfte keine handschriftliche Unterschrift erfordert. Ausnahmen bilden u.a. Kündigungen und Arbeitszeugnisse, diese unterliegen dem „Schriftformerfordernis“, welches in §126 BGB geregelt ist. Die bedeutet: Einen Arbeitsvertrag digital zu unterschreiben, ist grundsätzlich rechtsgültig. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, welche der drei definierten digitalen Unterschriften (ESS, FES oder QES) Sie verwenden.
Leider gibt es seit dem 1. August 2022 durch die Anpassungen des Nachweisgesetzes eine klare Ansage an die Unternehmen. Diese besagt, Unternehmen können mit elektronischen Signaturen arbeiten. Sie müssen jedoch ihren Mitarbeiter:innen spätestens bei der Beendigung des ersten Arbeitstages den Vertrag in Papierform aushändigen. Wie bitte? Wir digitalisieren einen Prozess, um dann doch wieder Papier auszuhändigen? Das ist ja, als würden wir vor der Vernichtung alter Akten sicherheitshalber von allen Akten eine Kopie machen.
Urlaubsanspruch verjährt nicht mehr (20.12.2022)
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Offene Urlaubsansprüche dürfen nicht mehr automatisch nach drei Jahren verjähren. Arbeitgeber sind in der Pflicht zu informieren. Das gilt, wenn Unternehmen es versäumen, ihre Beschäftigten rechtzeitig zum Urlaub aufzufordern und sie vor einer drohenden Verjährung zu warnen. Die Erfurter Richter fällten ein Grundsatzurteil, das für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant sein dürfte. Das BAG hatte sich mit der Frage beschäftigt, wann Urlaub verjährt. Dabei ging es um zwei Fälle aus NRW. Einmal hatte eine Steuerfachangestellte geklagt, die wegen hoher Arbeitsbelastung über mehrere Jahre hinweg keinen Urlaub genommen hatte und so 101 Urlaubstage generierte. Laut ihrem Unternehmen waren diese nun verfallen und verjährt. Dagegen klagte die Frau. In einem anderen Fall ging es um eine Krankenhausangestellte, die selbst über einen längeren Zeitraum krank war und deshalb nur einen Teil ihres Urlaubs nehmen konnte. Der Resturlaub sei verfallen, so das Unternehmen.
Die Informationspflicht gilt demnach auch für Unternehmen, wenn Arbeitnehmer für lange Zeit erkrankt sind. Ihnen drohte bisher auch für das Jahr der Erkrankung der Verfall ihres Urlaubs, wenn sie ihn nicht 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres genommen hatten. Das gilt nun nicht mehr.
Somit besteht nun die neue Praxis: Wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten nicht erfüllt, können Urlaubsansprüche zeitlich unbegrenzt über viele Jahre angesammelt werden und müssen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegolten werden.
Unternehmen müssen also eine aktive Rolle spielen und darauf achten, dass sie ihre Mitarbeiter informieren. Das Unternehmen muss rechtzeitig und eindeutig darüber informieren, wie viele Tage Urlaub am Ende des Bezugszeitraums verfallen werden, wenn dieser nicht genommen wird. Diese Information sollte sorgfältig und in nachweisbarer Art und Weise erfolgen. Kann das Unternehmen dies nicht nachweisen, droht im laufenden Arbeitsverhältnis die Kumulation von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren. Es besteht daher ein ureigenes Interesse des Unternehmens, seinen Informationspflichten nachzukommen, um die Kumulation von Urlaubsansprüchen zu verhindern.
Natürlich kann man an dieser Stelle viele Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten diskutieren. Aber mal ehrlich: Da fehlt ein Mitarbeiter krankheitsbedingt mehrere Monate. Sein Arbeitsplatz kann nur übergangsweise besetzt werden, da der Mitarbeiter ein Anrecht auf Wiedereingliederung hat und dann darf er auch noch seinen gesamten Urlaub (bezahlt) nachholen oder das Unternehmen hat diesen auszuzahlen. Gerade in der aktuellen Marktsituation, in der die deutschen Unternehmen jeden Cent umdrehen müssen, um Wettbewerbsfähig zu sein, ist dies ein erneuter Schlag gegen den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Arbeitszeitaufschreibung (13.9.22)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat inzwischen die Begründung für seinen Beschluss zur Arbeitszeiterfassung aus dem September veröffentlicht. Danach sind Unternehmen verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu erfassen. Am 13.09.2022 hat das BAG in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Unternehmen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch erfassen müssen. Jetzt wurde die Begründung vom BAG veröffentlicht.
Was bisher für die Arbeitszeiterfassung galt: Unternehmen mussten bisher nur die Mehrarbeit sowie Sonntags- und Feiertagsarbeit ihrer Beschäftigten erfassen. Dabei wies das Urteil des BAG aus dem September dieses Jahres bereits darauf hin, dass sich aus dem § 3 des Arbeitsschutzgesetzes auch die Pflicht ergibt, die generelle Arbeitszeit zu erfassen.
Das bedeutet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Unternehmen sind jetzt verpflichtet, den Beginn, die Dauer und das Ende der Arbeitszeit zu erfassen –einschließlich der Überstunden und Pausenzeiten. Ein Schicht- oder Dienstplan reicht in Zukunft nicht mehr aus, wenn die Erfassungspflicht für die tatsächliche Arbeitszeit aller Mitarbeiter gilt.
Leitende Angestellte sind ausgenommen: Eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung leitender Angestellter besteht nach der Auffassung des BAG nicht. Wer aber als Unternehmer auf Nummer sicher gehen will, sollte die Zeiterfassung auch für leitende Angestellte vorsehen.
Keine unmittelbaren Geldbußen: Ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz stellt keine direkte bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit dar. Um ein Bußgeld verhängen zu können, muss die zuständige Behörde zuerst anordnen, dass die Arbeitszeit im Betrieb erfasst werden soll. Erst, wenn der Anordnung nicht Folge geleistet wird, drohen Geldbußen.
Delegation an Mitarbeiter nur bedingt möglich: Nach Ansicht des BAG reicht es nicht aus, ein Zeiterfassungssystem anzubieten und der Belegschaft freizustellen, es zu nutzen. So lässt sich die Erfassung der Arbeitszeiten zwar delegieren, sie muss aber auch kontrolliert werden. Dazu dürfen die Arbeitszeitdaten nicht nur erhoben, sie müssen so erfasst und aufgezeichnet sein, dass eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden möglich ist.
Kein Initiativrecht für Betriebsrat: Dem Betriebsrat steht kein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zu, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter erfasst werden soll.
Schriftliche und digitale Zeiterfassung möglich: Das BAG macht keine klaren Vorgaben, ob die Zeiterfassung schriftlich oder digital erfolgen muss. So ist eine elektronische Arbeitszeiterfassung nicht zwingend erforderlich und ein manuell ausgefüllter Stundenzettel ist weiter zulässig.
Tätigkeit entscheidet über Erfassungsart: Es ist möglich, mehre Systeme zur Zeiterfassung einzusetzen. Bei der Wahl können die jeweiligen Tätigkeitsbereiche sowie Besonderheiten des Unternehmens berücksichtigt werden.
Vertrauensarbeitszeit ade: Wer unter Vertrauensarbeitszeit versteht, dass diese nicht festgehalten werden muss, muss nun umdenken. So können Mitarbeiter in Absprache mit ihrem Unternehmen zwar weiter frei entscheiden, wann, wie und wo sie arbeiten. Sie müssen aber dabei ihre Arbeitszeiten erfassen.
Wie bitte? Vertrauensarbeitszeit war für viele Unternehmen die Möglichkeit, insbesondere bei Führungskräften „etwas mehr für das Geld/Gehalt zu bekommen“. Nur so waren teilweise überdurchschnittliche Gehälter darzustellen. Vermutlich werden wir künftig deutlich mehr leitende Angestellte haben.