Klare Worte aus Erfurt: Erfassung der Arbeitszeit ist verpflichtend
Eigentlich ein harmloser Streit um die Kompetenzen eines Betriebsrats (BR) zur Mitbestimmung. Wenn ein BR existiert muss dieser regelmäßig vom Unternehmen bei Entscheidungen beteiligt werden. Die Rechte des BR variieren dabei in der gesetzlich vorgegebenen Partizipation.
Für fast alle Mitbestimmungstatbestände gilt, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zukommt. Das bedeutet: Will das Unternehmen eine Entscheidung in einem der Mitbestimmungsbereiche treffen, muss es sich mit dem BR einigen. Ob das Unternehmen sich entschließt, einen Bereich zu regeln, entscheidet es selbst. Das Unternehmen hat die Initiative zu ergreifen, nicht der BR.
Im nun entschiedenen Fall nahm das Unternehmen zunächst Verhandlungen mit dem BR auf, beendete diese jedoch ohne Einigung. Das Unternehmen brach die Gespräche dazu ab und teilte mit, die Angelegenheit „Arbeitszeiterfassung“ nicht weiter verfolgen zu wollen. Dies missfiel dem Betriebsrat, der seinerseits nun auf die Verhandlung zur Einführung drängte.
Der BR rief die Einigungsstelle an und verlangte die Fortführung der Verhandlungen. Diese setzte zunächst die Verhandlungen aus, da unklar ist, ob die Einigungsstelle zuständig ist. Begründung; Wenn der BR initiativ die Einführung verlangt und die Einigungsstelle darüber eine verbindliche Regelung treffen soll, könnte dies einer gesetzlichen Regelung widersprechen. Dies soll zuvor im Wege eines gerichtlichen Beschlussverfahrens geprüft werden.
Nach vorinstanzlich anderen Ergebnissen, entschied das BAG sehr eindeutig: Die Frage eines Initiativrechts des BR stellt sich in diesem Fall nicht. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht nur dann, wenn es keine gesetzliche Regelung gibt. Eine solche gesetzliche Regelung liegt jedoch vor. § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sieht vor, dass Unternehmen zur Sicherung des Gesundheitsschutzes „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ habe.
Das umfasst auch die Messung und Erfassung der Arbeitszeit, so die höchsten deutschen Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter. Damit wies das BAG den Antrag des BR zurück und gab dem Unternehmen insoweit Recht. Die Konsequenz dieser Sichtweise ist gravierend.
Der Gesetzgeber wurde links überholt
Das Arbeitsschutzgesetz gilt nach der Entscheidung vom 13.09.2022 nun für alle Unternehmen in Deutschland,
gleichermaßen, ob ein BR vorhanden ist oder nicht. Damit sind nach der Auslegung des BAG alle Unternehmen, verpflichtet, die Arbeitszeiten künftig zu erfassen.
Die Pflicht zur Einführung eines Prozesses zur vollständigen Arbeitszeiterfassung und damit das Ende der Vertrauensarbeitszeit sind nun kein Szenario eines Gesetzgebungsverfahrens. Sie ist – ohne Umsetzungsfrist – durch die nun vorliegende Entscheidung Realität geworden. Ob und welche Freiheiten das BAG Unternehmen erlaubt, kann der allein vorliegende Text der Pressemitteilung des Gerichts nicht entnommen werden. Dort lautet es nur faktisch „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“
Die Gesetzgebung ist durch die heutige Entscheidung durch das BAG links überholt worden. Sie ist nun gefordert und das Gesetzgebungsverfahren wird auf der Agenda weit oben stehen. Lessons learned: Bleibt der Gesetzgeber bei der Umsetzung europäischer Vorgaben untätig (das EuGH hat bereits 2019 entsprechend geurteilt), werden Gerichte nach und nach im Wege der Rechtsprechung für eine Umsetzung einzelner rechtlicher Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung sorgen.