Bewerber-Management-Systeme: Fluch oder Segen?

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Bewerber-Management-Systeme: Fluch oder Segen?

Ich wünsche niemandem etwas schlechtes - aber manchmal sollten sich Entscheider bei Ihrem eigenen Unternehmen bewerben müssen, nur um ihre eigenen Prozesse zu spüren.

Es geht nicht darum, Bewerber-Management-Systeme zu verdammen.

Es gibt ausreichend Gründe, ein so genanntes Bewerber-Management-System einzusetzen. Allen anderen Gründen voran, muss hier die DSGVO-konforme Behandlung von Bewerbungen und Bewerbern genannt werden. Nur mit Hilfe einer technischen Unterstützung können Unternehmen heute noch sicher stellen, dass alle CVs auf Wunsch des Bewerbers oder nach Ablauf der Bewerbungsfrist garantiert gelöscht werden. Auch die weiteren, nach der DSGVO relevanten und berechtigten möglichen Forderungen sind heute ohne IT-seitige Unterstützung nicht mehr erfüllbar.

Große Unternehmen können mit Hilfe dieser Systeme zudem große Mengen Bewerbungen und offene Stellen an verschiedenen Standorten -weltweit- koordinieren. Mit Hilfe so genannter „Parser“ werden Bewerbungsunterlagen automatisch gescannt und die relevanten Informationen (Name, Adressdaten, Skills, Laufbahn, Sprachen etc.) direkt in das System übernommen. Ein unschlagbarer Vorteil in Geschwindigkeit und Kosten. Das Unternehmen baut sich dadurch mittelfristig eine Datenbank an Interessenten auf und kann diese bei Bedarf ansprechen. Durch die DSGVO-konforme Löschung von Datensätzen ist die Datenbank immer aktuell und sollte keine nennenswerten Altbestände oder Karteileichen beinhalten.

Umfassende Bewerber-Management-Systeme bieten zusätzlich die Integration der Stellenausschreibung in m.E. veraltete und überteuerte Plattformen wie Stepstone und Monster. Einige wenige Systeme können bereits Google for Jobs oder Indeed bedienen. Auf den ersten Blick nochmals ein Kosten- und Geschwindigkeitsvorteil, wenn eine Stellenausschreibung nur einmal erfasst wird und dann automatisch an die zielgruppenrelevanten Plattformen verteilt wird. 

Viele Anbieter haben Lösungen für alle Unternehmensgrößen und so haben es die Vertriebsmitarbeiter dieser Systeme leicht, einen ROI darzustellen. Bis dahin ist die Entscheidung für den Kauf eines solches Systems mehr als gerechtfertigt.

Der Fehler geschieht erst nach dem Kauf der Software

Richtigerweise werden Projekte mit dem prozessual weitreichenden Umfang eines Bewerber-Management-Systems an die IT beauftragt. Software muss installiert werden. Rollen- und Rechtekonzepte sind zu erstellen und mit den bestehenden zu harmonisieren. Prozesse sind in der Software abzubilden. Zudem ist eine Integration in bestehende Mailsysteme wie auch Sicherungsverfahren notwendig, um alle Synergien zu heben.

HR oder Recruiting werden bei der Abbildung der Prozesse befragt. Oft aus Unkenntnis und Unerfahrenheit in der Durchführung von IT Projekten und sicher auch froh, den hohen Aufwand für die unternehmensweite Konzeption nicht selbst erledigen zu müssen, werden die Fragen der IT hinsichtlich der Prozesse im Rahmen des in der Software möglichen beantwortet. 

Genau zu diesem Zeitpunkt geschieht der Fehler, der aus einem umfassenden Bewerbungs-Management-System ein abweisendes Bewerber-Verwaltungs-System entstehen lässt.  

Die Digitalisierung im Recruiting scheitert damit voran - es gewinnt der Schnellste, nicht der Beste

Wie soll ein in Prozessoptimierung  und / oder Digitalisierung unerfahrener Mitarbeiter, unabhängig von seiner sonstigen Rolle im Unternehmen, auf die Frage reagieren: „Die Software lässt rechts herum oder links herum zu, welche Richtung möchtest Du?“ wenn der Prozess eigentlich geradeaus wäre und der mit der Installation beauftragte Kollege sagt, diesen Weg gibt es nicht. 

Zudem steht das Projektteam unter Druck und da die Software gekauft und bezahlt wurde, will die Geschäftsführung nun auch die Einsparungen schnell sehen. Verständlich, wenn in dieser Situation eine Fehlentscheidung getroffen wird, den das Unternehmen mit Kandidatenverlust teuer bezahlen wird.

So scheitert die Digitalisierung voran… 

Digitalisierungsprojekte sind keine IT Projekte

Digitalisierungsprojekte sind durch Positionen zu leiten, die nah an der Geschäftsführung sind. Dadurch erreicht man schnelle Entscheidungen, hat die erfahrensten Mitarbeiter direkt im Zugriff und alle beteiligten Einheiten werden gleichberechtigt gehört und behandelt.

Um Projekte zum Einsatz von Bewerber…äh nein… Bewerbungs-Management-Systemen erfolgreich zum Abschluss zu bringen gelten folgende Grundsätze:

Grundsatz 1:
Keine Software gibt dem Recruiting und schon gar nicht dem Bewerber vor, wie eine Bewerbung zu erfolgen hat. Alles, was über einen Klick, einen CV und eine E-Mail Adresse hinausgeht, ist zu viel. Wenn sich der aktuelle Prozess nicht abbilden lässt, muss der neue Prozess besser / einfacher sein – oder er wird nicht eingesetzt.

Grundsatz 2:
Der Bewerber hat keine Arbeiten zu erbringen, die durch die HR Administration des Unternehmens zu leisten sind. Logins fördern den Abbruch der Bewerbung. Die (weitreichende) Erfassung von persönlichen Daten ebenfalls.

Grundsatz 3:
Lange Wartezeiten zur Beantwortung von Bewerbungen sind inakzeptabel. Eine Bewerbung muss innerhalb von 48h personalisiert beantwortet werden. Die Prüfung der Unterlagen darf nicht länger als 3 Tage dauern. Danach muss der Bewerber wissen, ob es zu einem ersten Gespräch kommt – oder er wird sich dem schnelleren Unternehmen widmen. 
Bei allem Verständnis für Fachbereiche, die einem ständigen Druck unterliegen. Eine der ersten verbindlichen Zusagen des Fachbereiches muss die Prüfung und Beantwortung von CVs innerhalb von 2 Tagen sein.

Grundsatz 4:
Bei der Anbindung der Software an die Web Seite wird der CI/CD der Webseite nicht unterbrochen. Hässliche Listen mit einer Auflistung der offenen Position, die „so aus dem System kommen“ sind inakzeptabel. Gleiches gilt für die Anzeige von Stellenausschreibungen per PDF, direkt aus dem System generiert. Eingabemasken in veraltetem Design, die der Zeit einer Schreibmaschine entspringen, haben auf der Webseite ebenfalls nichts zu suchen.

Grundsatz 5:
Karriereseiten sollen Marketing für das Unternehmen darstellen und die Vorteile für den Bewerber darstellen. So, wie es Marketing für die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens auf den anderen Seiten des Unternehmensauftritts verantwortet. Kann das angebundene Bewerbungs-Management-System für HR mit den Anforderungen von Marketing an die Produkte und Services mithalten? Falls die Antwort nein ist, erfolgt keine Anbindung. 
   

Bewerbungs-Management ist willkommen

Das Fazit zum Schluss: Wie schon gesagt, dieser Post ist nicht gedacht, Bewerber-Management-Systeme zu verdammen. Er soll aufrütteln, den Einsatz zu überdenken. Ein gutes System kann im Hintergrund immer noch erhebliche Zeitaufwände und Kosten einsparen. 

Liebe Entscheider und Führungskräfte, bewerbt Euch doch bei Euch. Auf Eure Kommentare freue ich mich schon.